top of page

Workshop in Berlin

Aktualisiert: 7. Juli 2022

Fachaustausch zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Pflege

28. Juni Berlin


Ein Tag davor:

Montag, 27 Juni Mannheim - 23 Grad


Zu viert machten wir, Martina, Joti, Fabian und ich – Alex – uns auf den Weg nach Berlin. Alle Mitreisende haben es mehrfach schon erfahren, ich sage es trotzdem gern nochmal: der neue ICE IV ist meine persönliche Hölle auf Erden geworden, aber das ist Jammern auf höchstem Niveau.

6 Stunden später - Berlin Hauptbahnhof – 36 Grad. Berlin fasziniert immer und auch immer sofort, zudem der CheckIn im Hotel erst ab 15 Uhr begann. Also im Schnelldurchlauf durch die knallharte Sonne Berlins, über die Spree Richtung Kanzler*innenamt, Bundestag, Brandenburger Tor – auf zu einem Kaffee, der besser sein sollte als der im Zug, auf den ich gern verzichtet habe.

CheckIn im Hotel, Umziehen, Ausruhen, Duschen – vermutlich in anderer Reihenfolge, nur um dann, touristisch dem Kudamm zu widmen. Kurze Kaufreflexe und Ablenkungen, die die Einkaufsstraße so zu bieten hat später, ein Besuch in der Gedächtniskirche, um dann neben dem Zoo Palast noch ein Berliner kulinarisches Experiment zu testen. Berliner Spritz. Bevor ich euch nun an eine Suchmaschine eurer Wahl verliere – ich kann ECOSIA empfehlen – möchte ich kurz aufklären was das ist – Berliner Spritz: Es ist ordinäres Bier, Berliner Weiße - mit ‘nem Schuss Aperol. Klang vielversprechend, sah gut aus – war ernüchternd.

Fotos: Martina Döbele

Dienstag, Tag des Workshops:

Der Pflege im Quadrat Tross ging mit Sack und Pack zu Fuß vom Hotel zur Schwulenberatung Berlin - über Stock und Stein, Kopfsteinpflaster und unheimliche 5-Sekunden kurze Grünphasen für zu Fuß Gehende, Rollstuhl Fahrende oder Rollator Schiebende – sprich für Klein & Groß – Jung & Alt.

16 hochmotivierte Teilnehmende aus dem ganzen Land trafen auf Menschen, die den Workshop spannend und erlebnisreich gestalteten.

Beginnend mit dem großen und noch viel zu selten angesprochenem Thema der Intergeschlechtlichkeit, in die uns Luan Pertl – Inter*activist aus Österreich mitnahm. Auf eine spannende, in Teilen überraschende, aber unseren Wissensdurst weckende Reise.


“Sowohl die Alters- und Pflegeforschung als auch die Praxis der Altenhilfe gilt noch als ‘heteronormativ’”. Das heißt, die Forschung aber auch Einrichtungen der Altenhilfe sind ausgerichtet auf die Bedarfe und die Perspektiven von eindeutig als weiblich oder männlich erkennbaren Heterosexuellen.” (AWO 2021: 16)

Eine kurze Statistik dazu: Laut Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen sind 1,7% der Weltbevölkerung intergeschlechtlich bzw. Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale (… 2015) 1,7% - umgerechnet 134 Mio. Menschen – ungefähr jede 60. Person.

Die Zeit reichte, wie schon von Luan angekündigt, nicht, um alle unsere offenen Fragen zu beantworten. Aber – und das ist das sehr Gute daran – das Interesse war enorm und wird auch von uns zukünftig ausgebaut und intern als auch extern weitervermittelt.


“... es gibt besondere Bedürfnisse, denn du willst als das, was du bist, auch gesehen und wahrgenommen werden …” (Interview 11, Schönpflug und Eberhardt 2021: 40)

Wir haben alle schnell bemerkt, dass wir, trotz unserem schon weit offenen Mindset, vieles noch nicht auf dem Schirm hatten und vieles einfach noch nicht wissen und auch nicht, wo wir dieses Wissen erlangen können. Klar wurde uns jedoch allen, dass wir eben jetzt – hier – dieses Wissen sammeln, es festhalten, mitnehmen, ausbauen und weitersagen müssen, um genau diese Themen zum Thema zu machen. Wir wollen Luan auf jeden Fall zu uns nach Mannheim einladen, um uns in der Pflege und Betreuung mit Luans Hilfe weiterzubilden und dies in unser gesamtes Team weiterzutragen.

Wir erfahren das alles aus erster Hand. Darum geht es auch, Menschen befragen, die es selbst betrifft. Uns keinen Vorurteilen oder Annahmen hingeben, sondern offen Fragen, und auch uns selbst offen vorstellen.


"Hallo, ich bin Alex und ich benutze die Pronomen Er und Ihn." Auch – und gerade deswegen, da ich äußerlich erkennbar als Cis-Mann mit Bart meine Pronomen gar nicht nennen müsste, da ich so erkannt werde. Jedoch öffnen wir mit dem eigenen offenen Vorstellen wirklich Tore und massive, oft verschlossene Türen, die es unseren Gegenübern leichter machen, sich auch uns zu öffnen. Zumindest dass wir zeigen können, dass wir uns vorbereitet haben und dass wir nicht schockiert oder überrascht sind, dass es vielleicht noch nicht unserer aller Normalität ist, sie es aber vielleicht mit unserer Hilfe werden kann und auch werden muss.

Dass wir sehr weit weg von etwas wie Normalität sind, zeigt das folgende, wie ich finde, erschreckende Zitat einer befragten Person zum Thema ihrer eigenen Pflege im Alter.

“Es gab immer Menschen, die mir geholfen haben, das war ein großes Glück; aber ich kann nicht davon ausgehen und möchte es auch niemanden aufbürden. Es ist schwer, eine Balance zu finden, zu sagen, jedes Leben ist lebenswert, aber wenn ich alt bin und Pflege brauche, weiß ich nicht, wie lange ich so leben will. Es darf aber auch kein Standard werden, sich das Leben zu nehmen.”

Weiter geht es in bunt gemischten Workshops – Städteübergreifend, wir erarbeiten uns an drei Stationen vorgegebene Themen, spannende Ideen und versuchen Lösungswege darzulegen. Wir profitieren alle von unseren gemeinsamen aber auch von unseren unterschiedlichen Erfahrungen. So ergänzen wir uns am besten, wenn wir als Expertise gemeinsam mit vielen neuen Perspektiven darauf schauen.

Es folgt eine Podiumsdiskussion zum Thema „Diversität in der Pflege“ mit Samira Tanana, Charlotte-Ariane Krumbholz und Annemarie Krönig, moderiert durch Simon, der das Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt vertritt. Diversität, Vielfalt, Diskriminierung, Scham, Hintergrundwissen zu Bedarfen von Menschen...was macht es mit uns, wenn wir nicht verstanden werden, wenn wir nicht verstehen? Was, wenn unsere Gegenüber sich nicht verstanden fühlen? Verständnis & Wissen müsse hier stetig erweitert werden, ebenso wie mehr Rücksicht auf die Muttersprachen der zu Pflegenden. Mit Stolz und Freude können wir bei Pflege im Quadrat von Mitarbeitenden profitieren, die mit über 40 verschiedenen Migrationsgeschichten zu uns gefunden haben. Deren muttersprachliche Kenntnisse und das Wissen um die Kultur, sind ein großer Gewinn für uns.

Mal ganz nebenbei bemerkt: Ein zwei der Teilnehmenden, vielleicht auch drei oder vier - würde ich sofort mit zu uns nach Mannheim nehmen wollen. Berlin - Mannheim – da kann man doch schon mal ein paar Jahre zu Familienfesten pendeln. Sie würden super in unser großes Team passen und uns bereichern sowie auf vielfältige Art befruchten.


“Das die Gesellschaft mich nicht mehr pathologisch sieht, sondern als der Mensch, der ich bin.”

“Manche Menschen wollen mich nicht anfassen, fühlen sich abgestoßen von meinen Narben (…) Ich will auch nicht bemitleidet werden, sondern einfach ganz normal behandelt werden, es wird aber eher so sein, dass es eine schlechtere Behandlung wird, weil mein Körper ´komisch´ ist.”


“Auch, wenn es bei trans* oder Intersex-Menschen … da einfach einen körperlichen Eingriff gibt, wenn einmal der Arzt kommt oder ein Pfleger, dann sieht der das und der muss dann mit dem da auch umgehen können, du magst dich da auch nicht unwohl fühlen, wenn einer dann da blöd schaut.” (Interview 11, Schönpflug und Eberhardt 2021: 49)

“Ich bleibe gesund bis ich einschlafe, weil ich das System nicht sehe, wo anders das geht …"

Und genau da sehen wir unsere Aufgabe nach diesem Workshop: Unser Wissen vertiefen, weitergeben, uns noch mehr sensibilisieren, uns vorbereiten und darüber sprechen. Aufzeigen, wo wir gesellschaftlich noch wirken müssen, wir wollen Vorreiterende sein, Multiplikator*innen, wir wollen Vorbilder sein und auf keinen Fall Menschen in ihrer Würde verletzten und keine Menschen diskriminieren sondern auf alle Eventualitäten, auf alle unsere und eure Diversität vorbereitet sein. Jede Person soll sich bei Pflege im Quadrat willkommen und aufgehoben wissen und fühlen.

„Fortbildungen und Veränderungen auf der Organisationsebene sensibilisieren Mitarbeitende. In den Fortbildungen erlangen sie neues Wissen, welches sie in ihrer beruflichen Praxis anwenden und ihnen Handlungssicherheit verleiht. Auch werden Berührungsängste abgebaut. (…) Es wird nicht nur eine erhöhte Offenheit für die Belange von LSBTI*, sondern auch für weitere kulturelle und religiöse Unterschiede erreicht. (…)

... In zahlreichen Beispielen berichten Verantwortliche und Mitarbeitende darüber, dass sich die Atmosphäre für Gepflegte verbessert: LSBTI* erleben, dass ihre geschlechtliche und sexuelle Identität respektiert wird und diese nicht verstecken müssen. Sie wagen sich vermehrt aus der Isolation heraus, erhöhen ihren Bewegungsradius und erweitern ihre Teilhabe“

Wir arbeiten mit und für Menschen,

Für Alle Menschen! 131 weitere Bilder des Tages in der nachfolgenden Galerie.